ChatGPT: Stehen wir vor einer Transformation der Lieferkette?
ChatGPT steht für eine Wende in der Entwicklung von Chatbots. Aber ergibt sich daraus auch ein echter Nutzen für die Lieferkette und die Logistik? Das Tool wendet fortschrittliche Techniken des maschinellen Lernens an, um Handlungen zu simulieren, die bis vor kurzem nur dem menschlichen Verstand vorbehalten waren. Zu den Fähigkeiten dieses neuen konversationellen KI-Systems gehören u.a. das Lösen mathematischer Aufgaben, das Generieren von Programmiercodes, das Beantworten von Benutzeranfragen und das Erstellen literarischer Texte.
Ende 2022 vom Open AI-Forschungsinstitut auf den Markt gebracht, schlug diese neue Technologie wie ein Blitz ein. Grund dafür ist ihre beunruhigende Fähigkeit zu interagieren und in Echtzeit umfassende Antworten zu liefern. ChatGPT brauchte nur fünf Tage, um mehr als eine Million Nutzer zu gewinnen und brach damit die Rekorde von Plattformen wie TikTok und Instagram oder Apps wie Spotify und Dropbox.
Das künstliche Intelligenzsystem ChatGPT - kurz für Chat Generative Pre-trained Transformer - ist eine Weiterentwicklung der bestehenden Chatbots auf dem Markt. Der Technologieriese IBM definiert den Chatbot folgendermaßen: : „Ein Chatbot ist ein Computerprogramm, das künstliche Intelligenz (KI) und natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, kurz NLP) einsetzt, um eine menschliche Unterhaltung zu simulieren: Es versteht Kundenfragen und automatisiert die entsprechenden Antworten.“ ChatGPT kombiniert Machine Learning- und Deep-Learning-Techniken mit riesigen Datenmengen, um den Kontext eines Gesprächs zu verstehen und Sprachmuster zu imitieren. Die Chatbot-Technologie erleichtert den Nutzern die Suche nach Informationen, da sie schnell und effizient auf ihre Anfragen antwortet.
ChatGPT bietet mehr Funktionen als andere Chatbots auf dem Markt, da es über eine Schnittstelle verfügt, die den Nutzern den Zugang erleichtert und eine sehr präzise Interaktion mit dem KI-System möglich macht. Laure Soulier, außerordentliche Professorin am Institut Systèmes Intelligents et de Robotique an der Universität Sorbonne (Paris) erklärt dies mit folgenden Worten: „ChatGPT ist kein Fortschritt, sondern eher eine Verbesserung bestehender Modelle, die dazu beiträgt, künstliche Intelligenz über eine frei zugängliche Sprachschnittstelle für die breite Öffentlichkeit nutzbar zu machen.“
Wie kann ChatGPT die Logistik und die Industrie verbessern?
ChatGPT wendet die Technologie der künstlichen Intelligenz an, eine der Säulen der Logistik der kommenden Jahre. “Das Transformationspotenzial von KI-Technologien innerhalb von Lieferketten ist endlos, und wir stehen erst am Anfang, wenn es darum geht, wie und wo KI im Kontext von Lieferketten eingesetzt werden kann“, so George Bargiannis, Leiter für Informatik und Informationssysteme an der Universität von Huddersfield (UK), im Gespräch mit Mecalux.
Obwohl der freie Zugang zu Chatbots der Branche neue Perspektiven bieten könnte, bleibt abzuwarten, ob sich die Sprachtechnologie in der Lieferkette durchsetzen wird. Nach Ansicht von Esteve Almirall, Professor für Operations, Innovation und Data Sciences an der Esade Business School (Spanien), könnte die Innovation von ChatGPT einen offenkundigen Informationsbedarf entlang der Lieferkette decken. „Die Beantwortung von Kundenanfragen bleibt ein ungelöstes Problem. Bislang war die Interaktion von Chatbots mit Kunden nicht sehr erfolgreich. Hier stehen in den kommenden Jahren große Verbesserungen an, die besonders beim Verkauf von Technologieprodukten von Bedeutung sind, da hier selten offensichtliche Fragen auftreten.“
Eine weitere mögliche Anwendung von ChatGPT in der Lieferkette könnte die automatische Erstellung von Dokumenten sein. Mithilfe der Technologie der großen Sprachmodelle Large Language Models, LLM) kann das ChatGPT-Tool Texte und andere Inhalte erkennen, zusammenzufassen, übersetzen, voraussagen und generieren. Das dafür notwendige Wissen wird aus umfangreichen Datensätzen gewonnen. Almirall schätzt die Anwendung von ChatGPT zur automatischen Erstellung von Dokumenten folgendermaßen ein: „Auch wenn die Sprachmodelle keine Behälter bewegen, keine Nachfrage oder Verzögerungen in der Lieferkette vorhersagen oder Routen planen, könnte diese Technologie Auswirkungen auf die Logistik haben". Inwiefern? „Umfangreiche Sprachmodelle könnten hier Abhilfe schaffen, indem sie automatisierte Vertragsentwürfe, Verkaufsangebote usw. erstellen, die nur noch wenig oder gar nicht mehr überarbeitet werden müssen, wodurch die Produktivität dieser Prozesse erhöht wird“, erklärt der Universitätsprofessor.
ChatGPT, die Supply Chain und Zuverlässigkeit von Informationen
Der Leiter des Lehrstuhls für Informatik und Informationssysteme an der Universität Huddersfield vertritt die Auffassung, dass es noch zu früh sei, um die Bedeutung dieser Technologie für die Logistik von Unternehmen vorauszusagen: „Wie bei allen neuen KI-Technologien ist es schwierig, die potenziellen Auswirkungen von ChatGPT ohne gründliche Validierung und Tests abzusehen", merkt Bargiannis an.
Beim Umgang mit technologischen Innovationen wie ChatGPT ist auch die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der Informationen ein strittiger Punkt. „Im Falle von Lieferketten ist die Verfügbarkeit von Daten, die für ChatGPT notwendig wären, ein erhebliches Hindernis: Die End-to-End-Datentransparenz in der Lieferkette stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar. Würde man diese meistern, hätte man, meines Erachtens, die Voraussetzung dafür geschaffen, dass jeglicher Fortschritt bei ChatGPT auch eine Anwendung im Bereich der Lieferketten ermöglichen würde", so Bargiannis.
ChatGPT verwendet linguistische Modelle zur Verwaltung großer Datenmengen. Laut Professor Bargiannis könnte dieses Chatbot-Modell in der Lieferkette umgesetzt werden: „Die Integration von LLM-gesteuerten Chatbots in kundenorientierte oder interne Prozesse, wie die Auswahl von Lieferanten, könnte es erleichtern, Antworten auf Fragen zu finden und optimale Entscheidungen zu treffen, was langfristig die Betriebs- und Ressourcenkosten senken würde.“
Der Erfolg dieser Technologie wird voraussichtlich davon abhängen, ob sie erkennen kann, welche Informationen wahrheitsgemäß und welche falsch oder für den Benutzer einfach unbrauchbar sind: „Eine verstärkte Integration und umfassende Übernahme intelligenter Technologien in die Lieferketten kann nur erreicht werden, wenn diese technologischen Lösungen die Fähigkeit besitzen, ihre Antworten zumindest teilweise zu begründen", erläutert Bargiannis.
Welche Auswirkungen kann die Verwendung ungenauer Informationen auf ChatGPT haben? Vaggelis Giannikas, Direktor des Zentrums für intelligente Lager- und Logistiksysteme an der Universität Bath, nennt ein Beispiel: „Wenn Sie versuchen, ein Paket rückzuverfolgen und ChatGPT Ihnen eine Schätzung des Zustellungsdatums anhand von zufallsgenerierte Daten gibt, ist das dann besser als gar keine Schätzung?" Nach Ansicht des Wissenschaftlers ist es noch ein weiter Weg, bis ChatGPT Auswirkungen auf die Lieferkette haben wird: „Wir müssen die Funktionsweise der Technologie erst besser verstehen, bevor wir sie für industrielle Zwecke einsetzen. Um die Gültigkeit einer Information zu bestimmen, bedarf es zunächst eines besseren Verständnisses darüber, ob sie wahr ist, ob es sich um eine vermutlich wahre Schätzung handelt oder ob sie als falsch verworfen werden sollte.“.
Das Potenzial von ChatGPT in der Lieferkette
LDie ChatGPT-Lösung hat in den letzten Monaten einen Durchbruch erlebt. Der Chatbot von OpenAI hat bereits mehr als 100 Millionen Nutzer pro Monat. Sein Wachstumspotential ist unbestreitbar. Aber wird diese Technologie eine bedeutende Rolle in der Lieferkette spielen?
Noch lassen sich hierzu keine Szenarien entwerfen. Unbestreitbar ist jedoch, dass es interner Methoden bedarf, die den Wahrheitsgehalt der Daten überprüfen, um nicht nur agile sondern auch zuverlässige Prozesse zu entwickeln. Erst dann kann künstliche Intelligenz z.B. in Form eines ChatGPT in der Unternehmenslogistik eine entscheidende Rolle spielen.