Wie würde sich Quantencomputing auf die Logistik auswirken?
Quantencomputing hält allmählich seinen Einzug in die Welt, wie wir sie kennen. Quantencomputer sind nicht mehr nur die Zukunft der Informatik, sondern werden jeden Tag ein wenig mehr zur Realität. Diese Supercomputer verwenden die Regeln der Quantenmechanik, das heißt, den Bereich der Physik, der das Verhalten von Licht und Materie auf atomarer und subatomarer Ebene untersucht, um die Beschränkungen der klassischen Informatik zu überwinden.
Welche Anwendungen könnte diese neue Informatik jedoch in der Logistik haben? Könnte mithilfe von Quantencomputing zum Beispiel eine wirklich effiziente letzte Meile erreichen? Hätte die Lieferkettenkrise mit dieser Technologie vermieden oder zumindest minimiert werden können?
Die Quantenphysik
Die Quantenmechanik (oder Quantenphysik) entstand im Jahre 1900, als der deutsche Physiker Max Planck die Hypothese aufstellte, dass Licht in Form kleiner Energiepakete ausgesandt wird, die er als „Quanten“ bezeichnete. Dieses Konzept wurde weiterentwickelt und mathematisch gedeutet, wozu weitere Wissenschaftler wie Albert Einstein, Werner Heisenberg oder Erwin Schrödinger beitrugen. Letzterer definierte im Jahre 1929 das Verhalten atomarer Teilchen als eine Wahrscheinlichkeitswelle, was er später im bekannten Paradox von Schrödingers Katze ableitete. Auf diesen Grundlagen schritt die Untersuchung der Quantenphysik schnell voran und mittlerweile sind die Anwendungen dieser Theorie in unserem Alltag allgegenwärtig: Mikroprozessoren, Magnetresonanzen und LED-Beleuchtung, um nur einige zu nennen.
Gemäß der Quantenmechanik ist der Positionszustand eines Teilchens die Ergänzung eines Momentzustands und aus diesem Grund kann ein Teilchen mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen. David Morin, Professor an der Fakultät für Physik an der Universität Harvard, beschreibt dies folgendermaßen: „In der Quantenmechanik haben Teilchen Welleneigenschaften. In einer konkreten Wellengleichung – der Schrödinger-Gleichung – gilt das Verhalten dieser Wellen.“
Was ist Quantencomputing?
Quantencomputing besteht in der Anwendung der Gesetze der Quantenmechanik in der Informatik. Wie der Professor für Informationswissenschaften Lee Spector in seinem Buch „Advances in Genetic Programming“ verdeutlicht, ist „Quantencomputing ein Gebiet der Informatik, das die Dynamik von Objekten auf atomarer Ebene zum Speichern und Handhaben von Informationen einsetzt.“
Anders ausgedrückt, nutzt diese Technologie das Superpositionsprinzip von Materie und Quantenverschränkung dazu, um die Kapazität von Computern zu erweitern. Computing stellt Computern Algorithmen zur Verfügung, die auf numerischer Ebene weitaus effizienter sind, und verleiht dem System somit eine größere Rechenkapazität als ein herkömmlicher Computer.
Die Idee des Quantencomputing entstand aus Prinzipien der 1980er Jahre, als der amerikanische Physiker Paul Benioff sein erstes theoretisches Modell eines Quantencomputers vorstellte. Parallel zu Benioff beschrieb Richard Feynman, ebenfalls ein US-amerikanischer Physiker, in seiner Untersuchung „Simulating Physics with Computers“ die Notwendigkeit für das Design von Quantencomputern, um Experimente in der Quantenmechanik digital durchführen zu können.
Vom klassischen Bit zum „Qubit“
Qubits (kurz für Quantenbit, vom englischen Begriff „Quantum Bit“) sind die im Quantencomputing verwendeten Informationseinheiten. Im Unterschied zum klassischen binären Bit, das lediglich einen Wert von entweder 0 oder 1 darstellen kann, hat ein Qubit einen unbestimmten Zustand von 0, 1 oder jedem superponierten (=überlagerten) Anteil von 0 und 1.
Da Funktionen von 0 und 1 gleichzeitig mittels Quantenbits entwickelt werden können, erhöht Quantencomputing die Geschwindigkeit der Ausführung erheblich: „Qubits sind die kleinsten Informationseinheiten, die im Quantencomputing verarbeitet werden können, das heißt, in einem bidimensionalen Quantenmechaniksystem, das die gleichzeitige Kombination der klassischen Informationsbits (0 und 1) ermöglicht“, erklärt Román Orús, Professor an der Johannes Gutenberg-Universität in Deutschland, in der akademischen Fachzeitschrift „Reviews in Physics“.
Abhängig von der genauen Anzahl der Quantenbits können diese Computer Berechnungen in einem kleineren Raum und in einer Geschwindigkeit durchführen, die von einem herkömmlichen Computer nicht erreichbar ist. Microsoft, führendes Unternehmen in der Quantensoftwareentwicklung, erklärt, dass zum Beispiel die Informationen, die in 500 Qubits enthalten sind, mehr als 2500 klassischen Bits entsprechen.
Es gibt heute bereits Quantencomputer auf dem Markt: das nordamerikanische multinationale Unternehmen IBM stellte 2019 seinen ersten kommerziellen Quantencomputer vor, der Quantencomputing mit herkömmlichen Computerberechnungen kombinierte. Dieser wurde als erster Quantencomputer für die Arbeit außerhalb des Labors präsentiert und verfügt über eine dichte Struktur von mehr als 3 Metern Länge und ein System mit 20 Qubits.
Vorteile (und Nachteile) des Quantencomputing
Der Hauptvorteil des Quantencomputing besteht in seiner erhöhten Rechenkapazität. Im Vergleich zu klassischen Bits steigern Qubits die Rechenkapazität exponentiell, wodurch schnellere Prozesse gewährleistet werden: „Quantencomputer können umfangreiche multidimensionale Räume schaffen, in denen hoch komplexe Probleme dargestellt werden können, die nicht einmal durch Supercomputer verarbeitet werden können“, erklärt IBM.
Allerdings ist diese Technologie noch mit einigen Nachteilen verbunden. Superquantencomputer liefern derzeit noch nicht die notwendige Zuverlässigkeit: Die Zunahme der Qubits bei diesen Computern bedeutet, dass das System anfälliger für Fehler wird. Warum? Microsoft erklärt dies folgendermaßen: Die Verflechtung des Qubit-Systems mit seiner Umgebung einschließlich der Konfiguration der Messungen, könnte das System leicht verändern und Unstimmigkeiten erzeugen.“
Dies ist nicht der einzige Nachteil des Quantencomputing: Quantencomputer benötigen sehr kalte Arbeitsumgebungen (-273 ºC). Derzeit sind für diese Computer hochleitende Materialien bei diesen Temperaturen erforderlich, um eine gute Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Es laufen jedoch Projekte, um diesen Nachteil zu begrenzen.
Anwendungen eines Quantencomputers
Quantencomputing könnte die Geschwindigkeit der Reaktion von Technologien erhöhen, die zunehmend in unserem Alltag präsent sind: Internet der industriellen Dinge, Big Data oder Blockchain. Wie Petter Wittek in seinem Buch „What computer means to data mining“ erklärt: „Durch die Manipulation von Teilchen auf subatomarer Ebene werden Prozesse wie das maschinelle Lernen beschleunigt, wodurch die Geschwindigkeit von Computersuchen in ihren Datenbanken vervielfacht werden kann.“
Zu demselben Thema erläutert die in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Untersuchung „Quantum supremacy using a programmable superconducting processor“: „Mit Quantencomputern könnten bestimmte Rechenaufgaben in einem Quantenprozessor exponentiell schneller als in einem klassischen Prozessor durchgeführt werden.“
Von dieser gesteigerten Computergeschwindigkeit könnten viele verschiedene Bereiche profitieren, von der Untersuchung und Diagnose klinischer Erkrankungen bis hin zur Meteorologie, deren Vorhersagen dank der gleichzeitigen Analyse mehrerer Muster durch Quantencomputing an Zuverlässigkeit gewinnen könnten: „Die Quantenmechanik hat große Fortschritte auf einigen sehr speziellen Gebieten der Medizin ermöglicht und verfügt über das Potenzial, medizinische Untersuchungen und die klinische Versorgung zu revolutionieren,“ betont Dmitry Solenov, Professor an der Saint Louis University (Vereinigte Staaten), in einer in der Fachzeitschrift „Missouri Medicine“ veröffentlichten Untersuchung. „Angesichts der Tatsache, dass moderne Computer ihre Rechenfähigkeit weitgehend erreicht haben und nicht mehr exponentiell steigern können, wie es im vorherigen Jahrhundert der Fall war, ist Quantencomputing, wenn es Realität wird, die vielversprechendste Technologie, um erhebliche Fortschritte in Prozessen zu erzielen, die gegenwärtig die Möglichkeiten von bestehenden Berechnungen übersteigen“, folgert Solenov.
Quantencomputing in der Logistik
Quantencomputing könnte viele Möglichkeiten im Bereich der Logistik bieten. Quantencomputer könnten aktuelle Prozessoren ergänzen und somit die Schnelligkeit von Geräten, die Technologien wie maschinelles Lernen oder künstliche Intelligenz nutzen, erhöhen.
Wie ein Bericht des internationalen Beratungsunternehmens Accenture verdeutlicht: „Quantencomputer können im Machine Learning sichere Informationen für Algorithmen liefern. Jede Wiederholung neuer Daten kann der künstlichen Intelligenz beim Lernen helfen.“
Auf dem Gebiet der Logistik könnte insbesondere die Routenplanung großen Nutzen aus der Implementierung von Superquantencomputern ziehen. Die Quanteninformatik würde eine bessere Anwendung der Lagersimulation ermöglichen, indem sie alle potenziellen Routenoptionen analysiert und unter Berücksichtigung sämtlicher Variablen die effizienteste auswählt.
Die Routensimulation ist allerdings nicht der einzige Bereich, in dem die Einführung von Quantencomputing die Logistikleistung eines Unternehmens begünstigen könnte. Durch Beschleunigung der Simulation von Szenarien könnten Quantencomputer die Fähigkeit erlangen widerstandsfähigere Lieferketten zu schaffen.
Quantencomputing, eine Technologie mit einem hohen disruptiven Potenzial
Quantencomputer sollen schnellere Berechnungsprozesse ermöglichen, die Lösungen in Minuten liefern können, was mit Computern mit binären Bits nicht lösbar wäre. Diese Technologie könnte die Funktionsweise vieler Bereiche unseres Lebens verändern, einschließlich der Logistik. Dies ist einer der Gründe, warum die Europäische Kommission vor Kurzem das Projekt „Quantum Technologies Flagship“ gestartet hat, dessen Ziel es ist, die Europäische Union an die Spitze der Quantencomputing-Forschung zu bringen.
Quantencomputing wird nicht einfach nur eine weitere Technologie sein, die in den kommenden Jahren zu berücksichtigen ist. Das Beratungsunternehmen McKinsey kommt in seiner letzten Untersuchung „A game plan for quantum computing“ zu dem Schluss: „Quantencomputer besitzen das Potenzial, eine verändernde und disruptive Technologie zu sein, die dazu in der Lage ist, sich schnell durchzusetzen und eine unerwartete Auswirkung zu erzielen. Diejenigen, die nicht von Quantencomputing überrascht werden möchten, können bereits mit den Vorbereitungen für seine Landung beginnen.“